Wilhelm Mastaler: Historisches rund um die Stadt Güstrow






Was war mit der "Marien Kapelle" in Güstrow ?


(2008, ba. M. Mastaler 2019)

Der Güstrower Bürger Heinrich Renßborg verkaufte im Jahre 1489 dem Vikar in der Domkirche zu Güstrow Johann Bresemann für 50 Mark den Mietzins (für 10 Jahre) aus seinem Hause in der Hageböcker Straße zwischen Vicke Lewetzow und St. Marien Haus (1). Diese Nachricht findet sich in den noch nicht veröffentlichten Urkunden des Landesarchivs Schwerin. Was aber hat es mit diesem Marien-Haus auf sich ?



Abb. 1. Lage der "Marienkapelle" im Domviertel (roter Punkt)
Domviertel = blaue Umrandung
Schnoienviertel = gelbe Umrandung



Abb. 2. Ausschnitt aus dem Schreiben des Güstrower Magistrats an die Kirchen-Visitatoren von 1552 mit Erwähnung der "Marienkapelle"

 

Erst in den Schossbüchern (Steuerregistern) der Jahre 1503 bis 1564 im Stadtarchiv von Güstrow taucht dieses Gebäude wieder auf. So steht in den Vorbemerkungen zu dem Schossbuch 1503 unter dem Vermerk: " Vom Stadtbuch abweichende Pachten oder Kontribute ... Die Bewohner ... der Curie (Hof) der heiligen Jungfrau Maria sind nach altem Brauch zur Zahlung der genau geschätzten Contribution verpflichtet " (2). Und im Jahre 1518 vermerkt das Schossbuch, dass hier " 8 vicare de curie beate virginis " = 8 Vikare des Hofes der seligen Jungfrau (Maria) (3) ihre Wohnungen hatten. Nach der Reihenfolge der aufgelisteten Gebäude lag dieser Hof im Domviertel " hynder den Badstaven " (4) (hinter den Badestuben) am Ende der "Badstubenstraße", dem heutigen "Grüner Winkel". Von 1521 bis 1544 betrieb in diesem Hofe auch eine "Oblatenbäckerin" (Hostienbäckerin) ihr Gewerbe (5). Seit dem Jahre 1525 hatten nur noch 6 Geistliche hier ihre Häuser (6). In einem Inventarium, " wath der kerken Sulver (Silber) tho gustrow in der parrekerken befunden anno 1536 " wurde unter anderen Gegenständen aus Edelmetall aufgeführt: " 2 lysten de in Marien kapelle gehoren met 18 vorgulden Spangen, unde 18 par kleyne " (2 Besatzstreifen, der Marienkapelle gehörend, mit 18 vergoldeten Spangen, und 18 Paar kleinen) (7). In den Jahren 1538-1564 lauteten die Eintragungen im Schossbuch für diesen Hof: "Up Marien Hove" (8), der aber seit dem Jahre 1549 als "wüst" (leerstehend) bezeichnet wurde (9). Der Grund dafür war die Tatsache, dass man sich mitten in der Reformationszeit befand und die hier wohnenden Vikare der Domkirche ihre Häuser 1548 verlassen haben. Da die Pfarrkirche bereits 1534 den Protestanten überlassen wurde (10), kann es sich nur um Geistliche des Domkapitels gehandelt haben, das erst 1552 endgültig aufgelöst wurde (11).

Im Zusammenhang mit der Kirchenvisitation des Jahres 1552 hat sich im Stadtarchiv ein Schreiben des Rates der Stadt erhalten, " uff die artickel vonn denn fürstlichen visitatoren uebergeben, so sie einen Gründlichen bericht begern, somit den dieser zeit in eile davon einem rade zu Güstrow bewust und ahm abende notiret ist " (12). Dieser Bericht enthält ein Verzeichnis aller geistlichen Grundstücke und Vermögenswerte in der Stadt, die auf Grund der Reformation in den Besitz des Landesherrn übergegangen waren. In diesem Schreiben heißt es u.a.: " 6 vorkoffte vicarien huse, alle des Rats lehen, seint vorbrannt tho marien capelle gehorich, so up marien have belegen gewesen, is noch wust und unbebouwet ".
Es ist bisher nicht bekannt, welche Funktion diese Kapelle einmal ausgefüllt hatte. Wir wissen jedoch, dass im späten Mittelalter Kirchen immer mit einer zugehörigen Gemeinde verbunden waren und auch Kapellen stets einem bestimmten Zweck gedient hatten, falls sie nicht der Überrest einer ehemaligen Kirche waren. Aus dem Bericht von 1552 geht leider nicht hervor, wann diese Kapelle untergegangen ist; anscheinend fiel sie dem Stadtbrand des Jahres 1503 nicht zum Opfer, da zu dieser Zeit auch die umgebenden Wohnungen der Geistlichen noch bestanden. Bei der Beschreibung der Vermögenswerte der Pfarrkirche wurde 1552 im Visitationsprotokoll zur "Capelle Mariae Virginis" vermerkt: " Diese Register sind kurtzlich außgekundschafft worden " (13). Anscheinend war die Kapelle zu diesem Zeitpunkt bereits leer.


Dass hier einmal eine "Marien-Kapelle" gestanden hat, kann nach den Nachrichten als gesichert angesehen werden. Zur Betreuung und Unterhaltung dieser Kapelle hatten auch einige Vikare hier ihre Wohnungen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass zu dieser Kapelle, die am Rande der Stadt gestanden hatte, jemals eine eigene Gemeinde gehört hatte.
Welche Aufgabe diese Kapelle einmal übernommen hatte, ist bis heute nicht genau geklärt. Im Jahre 1226 war durch den Fürsten Heinrich Borwin II. in Güstrow ein Kollegiatsstift gegründet worden (14). Es kann angenommen werden, dass auch erst jetzt mit dem Bau der Kollegiatskriche, dem heutigen Dom, begonnen wurde. Die Vermutungen, dass an dieser Stelle bereits vorher eine Kirche gestanden hatte, entbehren jeder Berechtigung, denn eine Kirche ohne Gemeinde – und die gab es bestimmt an dieser Stelle und zu dieser Zeit nicht – war undenkbar. Eine der wichtigsten Aufgaben der Kollegiatsherren war aber die Pflege des täglichen Chorgebetes. Man bezeichnete diese Gemeinschaft von Weltgeistlichen nicht umsonst als "Augustiner-Chorherren", die sich in ihren Regeln (canones) auf den hl. Augustinus bezogen (15). Da der Hauptaltar des Domes erst im Jahre 1335 geweiht wurde (16), steht die Frage im Raum, wo die Domherren ihre Chorgebete in der Zwischenzeit verrichtet haben. Die nächstgelegene Pfarrkirche war ebenfalls noch im Bau und kam als Kirche der Stadtbürger für die Domherren nicht in Betracht. Es blieb nur die Möglichkeit, dass für diesen Zweck vorübergehend eine provisorische Kirche oder Kapelle errichtet wurde. War es vielleicht die "Marien-Kapelle" ?
Es war zu ihrer Bauzeit sicher nicht möglich, sie dichter beim Dom zu errichten, denn das Baugelände war hier sehr begrenzt, da die "Burgfreiheit" sich bereits bis zur Ostseite des Domplatzes erstreckte (17) und der Platz der heutigen "Burgstraße" bis zum späteren Wall von einer Niederung, der "Gosow" (= Gänseweide), eingenommen wurde. Es blieb den Domherren wohl nur eine Baumöglichkeit innerhalb des späteren Stadtgebietes, das damals von der "Badstubenstraße" (heute "Grüner Winkel") begrenzt wurde.
Vielleicht ist damit das Geheimnis der verschwundenen "Marien-Kapelle" gelöst, deren leerstehenden Häuser der Geistlichen bereits 1560 an Güstrower Bürger verkauft worden waren (18).





Quellen- und Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis


 - LHAS (LHA, MLHAS) = Landeshauptarchiv in Schwerin: LHAS 1.5 - 10.72, Kirchen (Generalia), Urkunden über Kirchen, Klöster, Stifte und Bistümer, Bildungsstätten und Hospitäler, Kirchenbehörden und kirchliche Einrichtungen, Kirchenbuchabschriften (KBA) und -kopien evangelischer und katholischer Gemeinden im Bestand des LHA Schwerin
 - StA = Güstrower Stadtarchiv: div. Urkunden, Register, Gerichts-, Rats-, Protokoll-, Kämmerei-, Schoss- und Bruchbücher der Stadt
 - Regesten (Auszüge) = Sammlung von zumeist unveröffentlichten Urkunden, StA; S.A. Regesten im LHAS
 - MUB = Mecklenburgische Urkundenbücher, Bd. I. - XXV., im Bestand des LHAS
 - MJB = Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, 1835-1940, Bd. 1 - 104, im Bestand des LHAS

 - Bosinski, Gerhard. Dom des Nordens. Evangelische Verlags-Anstalt, Berlin 1954. 2. Auflage 1963
 - Lisch, Georg Christian Friedrich. Die letzte Residenz der Fürsten von Werle. MJB Bd. 24 (1859)
 - Schmaltz, Karl. Kirchengeschichte Mecklenburgs, Bd. II, Schwerin 1936
 - Sonntag, Peter. Das Kollegiatstift St. Marien zu Erfurt, Leipzig 1962

 





Quellenverzeichnis

1  Regesten vom 24.05.1489, StA / LHAS

2  Schossbuch 1503, Vorbemerkungen, StA.

3  Schossbuch 1518, Domviertel, StA.

4  Schossbuch 1521, Domviertel, StA.

5  Schossbücher 1521-1544, Domviertel, StA.

6  Schossbücher 1525-1548, Domviertel, StA.

7  Das der Pfarrkirche gehörende Kirchengerät, 1509 – 1855, StA.

8  Schossbücher 1538 - 1564, Domviertel, StA.

9  Schossbücher 1548 - 1559, Domviertel, StA.

10  Schmaltz, Karl. Kirchengeschichte Mecklenburgs, Bd. II, Schwerin 1936, S. 40

11  Visitationsprotokoll 1552, StA.

12  Patronat der Pfarrkirche, Vefassung, Rechte, 1538 - 1875, StA.

13  Visitationsprotokoll 1552, StA.

14  LHAS, MUB 328 vom 03.06.1226

15  Sonntag, Peter. Das Kollegiatstift St. Marien zu Erfurt, Leipzig 1962

16  Bosinski, Gerhard. Dom des Nordens. Evangelische Verlags-Anstalt, Berlin 1954. 2. Auflage 1963, S.8

17  Lisch, Georg Christian Friedrich. Die letzte Residenz der Fürsten von Werle. MJB Bd. 24 (1859)

18  Schossbücher 1559 - 1561, Domviertel, StA.


 





Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 1  Lage der "Marienkapelle" im Domviertel der Stadt, Auszug aus einer "Carte von der Wasserleitung der Vorderstadt Güstrow von 1862"; StA.

Abb. 2  Ausschnitt aus dem Schreiben des Güstrower Magistrats an die Kirchen-Visitatoren von 1552 mit Erwähnung der "Marienkapelle", StA. Akte: Patronat der Pfarrkirche, Verfassung, Rechte, 1538 - 1875

 

 

 




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